Merkel für Neubegründung des „Projekts Europa“
14. Mai 2006
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat eine Neubegründung des „Projekts Europa“ gefordert. „Wir müssen die Bürger in den Mittelpunkt stellen“, sagte die CDU-Vorsitzende am Donnerstag in einer Regierungserklärung zur Europapolitik im Bundestag. Für die Menschen müsse deutlich werden, dass Europa die Dinge besser mache und kein Bremsklotz sei. Die Europäische Union habe in den vergangenen Jahrzehnten viel erreicht, betonte Merkel. Frieden in Freiheit und Wohlstand seien das Ergebnis der europäischen Einigung. Heute entscheide jedoch der wirtschaftliche und soziale Erfolg Europas über die Akzeptanz der EU bei den Bürgerinnen und Bürgern.
Als besondere Stärken Europas bezeichnete die Bundeskanzlerin Bildung, Forschung und Innovation: Um diesen Vorteil zu sichern, müsse der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf mindestens drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigen. Dabei gelte es, die Förderung nach Leistung und Effizienz, nach internationaler Wettbewerbsfähigkeit und Innovation zu vergeben. Eine Frage nationaler Verantwortung für Europa ist aus Sicht Merkels die Einhaltung des Stabilitätspaktes. In diesem Zusammenhang bekannte sich die Bundeskanzlerin ausdrücklich zur Lissabon-Strategie als Grundlage für Erfolg in den Bereichen Wirtschaft, Innovation und Arbeit.
Nach dem Ende des Kalten Krieges stehe Europa angesichts der Bedrohungen durch Fundamentalismus und internationalen Terrorismus vor neuen Herausforderungen, sagte die Kanzlerin weiter. Die Bürger hätten ein zunehmendes Bedürfnis nach innerer Sicherheit und nach Rechtssicherheit. Heute sei es für die überwiegende Mehrheit der „vernünftig denkenden Menschen“ selbstverständlich geworden, dass Deutschland auch international Verantwortung übernehme. „Europa hat gelernt, es muss eingreifen, bevor es zu spät ist“. Deswegen engagiere sich die Bundesrepublik jetzt auch bei der Absicherung der Wahlen im Kongo. Deutschland sei als Partner gewünscht und gefragt, es könne sich vor seiner Verantwortung in der Welt nicht drücken, bekräftigte Merkel. „Drücken wird so verstanden, als wenn wir vor den Herausforderungen kapitulieren“.
Mit Blick auf künftige Erweiterungen stellte die Regierungschefin fest, dass die Europäische Union besonders für die Länder Osteuropas sehr attraktiv sei. Dessen ungeachtet müsse es für die Erweiterung der EU klare Kriterien geben, die auch erfüllt werden müssten. Da der Aufnahme neuer EU-Mitglieder Grenzen gesetzt seien, gelte es, neue Möglichkeiten der Kooperation auszuloten.
Handlungsfähiges Europa
Eindringlich wies Merkel darauf hin, dass die EU einen Verfassungsvertrag brauche. Nur ein solcher Vertrag gebe Antworten auf die Kernfragen: „Was sind unsere Grundrechte?“ oder „Was sind unsere gemeinsamen Werte?“. Außerdem könne nur ein Verfassungsvertrag eine klare Kompetenz-Zuordnung innerhalb der EU gewährleisten. Er beinhalte das Bekenntnis zur Subsidiarität und damit eine Stärkung der nationalen Parlamente. „Vermischte Kompetenzen sind immer ein Demokratiedefizit“, so Merkel. „Ich möchte den Verfassungsvertrag, die Bundesrepublik Deutschland möchte den Verfassungsvertrag und die Mehrheit dieses Parlamentes auch“.