Stadtentwicklung als ständiger Prozess

14.04.2008

Streitgespräch: Einzelhändler Toll fordert ein Gesamtkonzept für die City, CDU-Chef Geerlings mehr Initiativen der Kaufmannschaft
Neuss (lü) „Einzelhändler handeln einzeln“, sagt der eine. „Politik und Verwaltung haben kein innerstädtisches Gesamtkonzept“, hält der andere dagegen. Beide wollen die Bedeutung der Stadt Neuss als Einkaufs- und Dienstleistungsstandort steigern, erkennen die Defizite im Schatten von St. Quirin und werden ungeduldig. Doch wer leitet durch welche konkreten Maßnahmen den Aufschwung ein? Auf Einladung der NGZ-Redaktion trafen sich Thomas Toll, Vorsitzender der Werbegemeinschaft „City Treff“, und Dr. Jörg Geerlings, der als Chef des CDU-Stadtverbandes die seit Jahrzehnten in Neuss dominierende politische Kraft führt, im Pressehaus an der Moselstraße zum „Streitgespräch“.

Herr Toll, die Gewerbesteuern sprudeln, die Zahl der Arbeitslosen liegt unter dem Landesdurchschnitt, große Unternehmen siedeln sich in Neuss an. Die Verantwortlichen im Rathaus können doch angesichts dieser Bilanz nicht alles falsch machen? Was macht Sie so unlustig?
Thomas Toll Die Politik steht auf den ersten Blick gut da. Und das ist ja gerade das Tückische an der Sache. Ich will auch die Erfolge nicht klein reden. Aber eine Stadt ist nur lebendig, wenn das Herz stark ist – und das schlägt nun einmal in der Innenstadt. Und genau dort sieht’s in Neuss sehr, sehr finster aus. Um Neuss herum, auch auf Stadtgebiet an der Peripherie der City, wachsen Einkaufscenter in den Himmel, aber wir stehen in der Innenstadt mit leeren Händen da. Mfi hat kapituliert, und Mitbewerber Tenkhoff wird auch nicht kommen. Das bedeutet im Klartext: Es passiert nichts.
Jörg Geerlings Stimmt nicht. Es geschieht sogar eine ganze Menge. Wir stellen gerade mit erheblichem finanziellen Aufwand ein professionelles Stadtmarketing auf die Beine, und 20 Millionen Euro werden investiert, um den Hauptstraßenzug attraktiv zu machen.
Toll Genau diese Sichtweise macht mich ja so besorgt. Das neue Stadtmarketing ist eine tolle Sache, aber es ist überfällig, und das beste Marketing nutzt nichts, wenn das Produkt nicht überzeugt. Den Hauptstraßenzug anzupacken, ist eine Notwendigkeit. In erster Linie geht es darum, den maroden Kanal zu sanieren. Alles andere ist Beiwerk.
Herr Toll, dann sagen Sie uns doch, was nach Ihrer Auffassung jetzt konkret von Politik und Verwaltung angepackt werden müsste?
Toll Es fehlt ein Gesamtkonzept für die Innenstadt, die für mich vom Bahnhof bis zum Tranktor und vom Hafenbecken I bis zur Erftstraße reicht. Welches Profil der Stadt wollen wir denn in den nächsten zehn Jahren schärfen?
Geerlings Da fehlt in der Tat etwas Ganzheitliches. Es reicht nicht, nur über den Handel zu sprechen, denn die meisten Arbeitsplätze in der Innenstadt stellen zum Beispiel die Freiberufler bereit. Aber bei allen Initiativen haben die Hausbesitzer die Schlüsselrolle. Darum sollten wir auch überlegen, Immobilien-Standortgemeinschaften (ISG) zu bilden, um die Quartiere aufzuwerten.
Toll Typisch Neuss. Ich fordere ein Gesamtkonzept, und die Politik antwortet mit Quartier-Lifting. Es geht mir nicht um Details. Ich wünsche mir Kernaussagen. Beispiel: Welche Funktion soll die Krefelder Straße übernehmen? Meine Antwort: Sie muss zum Scharnier zwischen Bahnhof und City hergerichtet werden – hell und geordnet.
Geerlings Diese Aufwertung ist doch längst beschlossene Sache. Dort hat der Rat sofort gehandelt, als klar wurde, dass das noch nicht im Verwaltungsentwurf war.
Toll Erst, als wir Händler heftig protestierten, hat sich die Politik bewegt. Das ist kein Konzept.
Bleiben wir noch beim Begriff Konzept. Herr Toll, was muss dieses Konzept verbinden?
Toll Nehmen Sie doch nur die städtebaulichen Baustellen: Hafenbecken I, Wendersplatz, Rennbahn, Busbahnhof, Münze. Das darf doch nicht Stückwerk bleiben, das muss doch inhaltlich und planerisch verwoben werden.
Geerlings Immerhin gibt es einen Hessentor-Wettbewerb für diesen Bereich, und wir sind nun doch vielfach gut unterwegs. Aber schauen wir uns die Münze an: Dort sind viele Eigentümer beteiligt. Da kann Politik beschließen, was sie will, sie stößt immer wieder an ihre Grenzen. Eine gute Lösung ist es, Volkshochschule und Musikschule auf dem Busbahnhof zu errichten, damit locken wir Menschen in die Stadt. Das ist unser Ziel. Darum fördern wir auch die Wohnbebauung wie zum Beispiel am Marienkirchplatz. Bewohner und Besucher sind zugleich die besten Kunden der Innenstadt.
Einkaufscenter, sie mögen noch so attraktiv sein, sind letztlich austauschbar. Machen die mittelständischen Fachgeschäfte wie Gewürzmühle Engels, Cigarren Ullrich oder Mayser den angenehmen Unterschied aus?
Geerlings Klar. Die Center werden sich auf Dauer neutralisieren, aber sie sind offenbar ein Magnet und locken viele Menschen an. Das können wir nicht übersehen.
Toll Inhabergeführte Fachgeschäfte mit einem eigenständigen Sortiment sind das Salz in der Einkaufssuppe. Das sehen inzwischen auch die meisten Filialisten so. Aber dennoch benötigen wir ein innerstädtisches Einkaufscenter. Es darf baulich aber kein Ufo sein, sondern muss sich integrieren. Weitere wichtige Themen sind Sicherheit und Sauberkeit, bezahlbares Parkangebot . . .
Jetzt müssen wir aber einmal darüber reden, welchen Beitrag die Händlerschaft leisten will. Wir hören.
Geerlings Zuverlässigkeit ist ein hohes Gut in diesem Zusammenhang. Die Neusser Händler kriegen ja nicht einmal einheitliche Öffnungszeiten hin. Da ist Handlungsbedarf; denn das einheitliche Auftreten ist die größte Stärke der Einkaufscenter.
Toll Das ist eine Schwachstelle. Wir müssen die ganze Stadt wie ein Einkaufscenter führen. Mit einheitlichen Öffnungszeiten, gemeinsamer Werbung und Standards im Service.Aber das ist eine Idealvorstellung.
Zeit für eine kurze Schlussbemerkung.
Toll Alle Neusser wollen auf ihre Innenstadt stolz sein und nicht sieben Jahre am Busbahnhof in eine Baugrube schauen. Die Stadtentwicklung wäre ein schönes Wahlkampfthema.
Geerlings Stadtentwicklung ist ein ständiger Prozess, der nie aufhört.
Der Gesprächsstoff ging ihnen nicht aus: Thomas Toll (l.) und Dr. Jörg Geerlings diskutierten 90 Minuten leidenschaftlich über Stärken und Schwächen der Einkaufs- und Dienstleistungsstadt Neuss. NGZ-Fotos (6): L. Berns
Kamen auf Einladung der NGZ zum „Streitgespräch“ ins Pressehaus: Thomas Toll (l.), Vorsitzender des City-Treffs, und Dr. Jörg Geerlings, Parteichef der Neusser CDU.
Quelle: Neuß-Grevenbroicher Zeitung v. 12.4.2008 (Ludger Baten)

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